Politische Einstellungen sind auch Veranlagung
Hamburg (dpa)- Menschen ändern sich im Laufe ihres Lebens - aber die Grundüberzeugungen, einschließlich der politischen Einstellungen, bleiben meist unverändert - zumindest nach dem 30. Lebensjahr.
Neue wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass bei diesen Grundeinstellungen die Prägung durch das Elternhaus eine geringere Rolle spielt als Generationen von Pädagogen und Sozialisationsforschern angenommen haben - und dass die Gene einen entsprechend bedeutenderen Einfluss haben, wie die Zeitschrift «Psychologie heute» (Weinheim) in ihrer April-Ausgabe berichtet.
Zu den politischen Einstellungen heißt es dort: «Natürlich findet man in den Zellen unseres Körpers kein CDU-Gen oder SPD-Allel. Aber das Genom als Ganzes prägt nachhaltig das persönliche Naturell eines Menschen und mit ihm die Dinge, die auf seiner Prioritätsliste ganz oben stehen.»
Zu den einschlägigen Erkenntnissen haben Zwillingsstudien beigetragen. Sie zeigten, dass sich erbgleiche Zwillinge stärker in ihrer politischen Grundhaltung ähneln als zweieiige, also nur wie normale Geschwister verwandte. Nach daraus abgeleiteten Schätzungen wird die politische Ausrichtung zu 30 bis 50 Prozent von den Genen bestimmt. Bei der bislang sorgfältigsten Adoptionsstudie, dem «Colorado Adoption Project», befragte das amerikanisch-britische Team Amy C. Abrahamson, Laura A. Baker und Avshalom Caspi 654 adoptierte oder bei den leiblichen Eltern aufgewachsene Jugendliche. Es zeigte sich, dass zumindest vom 15. Lebensjahr an der Einfluss der Gene den der Familie übertraf.
Zur Entwicklung psychischer Merkmale überhaupt im Laufe des Lebens haben Forscher festgestellt: Je älter der Mensch wird, desto stärker wird seine Persönlichkeit von den Genen bestimmt. Das liegt vor allem an der Neigung, sein Leben in einem Milieu einzurichten, das der eigenen Persönlichkeit und Weltanschauung entspricht. Der Psychologe Abraham Tesser von der Universität Georgia (USA) folgert: Dieser Wunsch nach Übereinstimmung mit den Freunden und dem Partner sei um so stärker ausgeprägt, je tiefer die entsprechende Haltung in der genetischen Anlage wurzele.
Ein besonderer Geneffekt entstehe dadurch, dass Ehepaare in ihren Grundansichten oft übereinstimmten und sich in diesem Merkmal auch genetisch ähnelten, so dass die Gene ihrer Kinder diesbezüglich womöglich ähnlicher seien als man bei den gängigen Erblichkeitsschätzungen mathematisch in Rechnung stellt.
Im Rahmen der Bielefelder Längsschnittstudie erwachsener Zwillinge (BILSA) legten Rainer Riemann (Universität Jena) sowie Alois Angleitner und Frank Spinath (Universität Bielefeld) 224 Paaren eineiiger sowie 113 Paaren zweieiiger erwachsener Zwillinge einen «Konservatismus»-Fragebogen vor. Es zeigte sich, dass deren Haltung zwar in erheblichem Maße von der Umwelt geprägt wurde - aber nicht von der Familie, in der sie groß geworden sind, sondern von ihrer ganz individuellen Umwelt.
Keinerlei Nachwirkungen hatte das politische Milieu des Elternhauses auf die spätere Einstellung zu technischem Fortschritt, Wohlfahrt, Homosexualität, Feminismus und Antikapitalismus. Für diese Facetten der politischen Ausrichtung fand sich ein relativ deutlicher Einfluss der Gene, der mathematisch auf 35 bis 44 Prozent geschätzt wurde.
Shalom Schwartz, Professor an der Universität Jerusalem hat gemeinsam mit anderen Forschern, unter ihnen der Münsteraner Psychologieprofessor Wolfgang Bilsky, Fragebogendaten von mehr als 60 000 Menschen in 63 Ländern über Wertorientierungen gesammelt. In allen diesen Ländern wurde, mit geringen Abweichungen, das gleiche Links/Rechts-Ordnungsschema der Werte festgestellt: Offenheit für Neues, gepaart mit sozialen Werten auf der einen Seite, Leistungsstreben und Bewahren des Hergebrachten auf der anderen. Nicht zwischen Kulturen, sondern innerhalb der Kulturen unterschieden sich die Menschen in ihren Werthaltungen.
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